Über die Liebe zum Leben. Rundfunksendungen by Erich Fromm
Autor:Erich Fromm
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 978-3-95912-087-6
Herausgeber: Open Publishing
veröffentlicht: 2015-08-30T16:00:00+00:00
Im Namen des Lebens. Ein Porträt im Gespräch mit Hans Jürgen Schultz
(1974b)[20]
Schultz: Herr Fromm, wir haben uns eine Unterhaltung vorgenommen, kein Interview, sondern eine Konversation, ein Gespräch ohne Thema, ohne bestimmten Zweck, ohne Vorbereitung übrigens auch – nur so aus Freude am Dialog.[21]
Wenn ich mich nach der Rolle frage, die ich dabei zu spielen habe, so komme ich mir wie ein Leser vor, der einen Autor besucht, dessen Bücher er studiert hat und der nun gern etwas mehr erfahren möchte, als man schwarz auf weiß nach Hause tragen kann. Meine Aktivität heute Abend soll vornehmlich im Zuhören bestehen. Ich möchte Sie, ohne Sie auszufragen, ein wenig zum Reden bringen. Das alles klingt altmodisch, erinnert fast an Salon, obwohl wir uns in einem Studio befinden. In einem Studio unterhält man sich nicht. Hier wird entweder diskutiert oder man macht Unterhaltung, stellt sie her als eine Ware für die Massen, ohne sich zu bekümmern um das Wahre, das das mehr oder minder bewusste Interesse an der Unterhaltung ist, wie wir sie verstehen wollen.
Unterhaltung ist – wie das Wort besagt – eine Haltung, eine Unterhaltung. Man muss sich klein machen können. Obwohl sie ein Spiel ist, ein Spiel des Geistes, darf man sich in ihr nicht aufspielen wollen.
Nach dieser kleinen Vorbemerkung möchte ich Sie, lieber Herr Fromm, fragen, ob das überhaupt zeitgemäß ist, was wir hier miteinander versuchen. Wer – außer einigen wenigen – wird wieder aufleben lassen wollen, was doch offenbar auszusterben im Begriff ist und nun bestenfalls wie eine Antiquität betrachtet wird? Denken Sie an die Kultur des Briefeschreibens; sie geht stillschweigend unter. Ist die Kultur der Unterhaltung noch zu retten? Ich fürchte nein, und ich finde das – gelinde gesagt – schade.
Fromm: Ich finde es sogar außerordentlich schade, und dies umso mehr, als es ja nur ein Symptom eines Defektes unserer Kultur ist, der nicht nur schade, sondern tödlich sein kann. Vielleicht kann ich es einmal so ausdrücken: Mehr und mehr tun wir nur das, was einen Zweck hat, wobei also etwas herauskommt. Es geht um Geld oder Ruhm oder um unsere Beförderung. Wir tun kaum noch etwas, das gar keinen Zweck hat. Der Mensch hat vergessen, dass das möglich, sogar wünschenswert und vor allen Dingen schön ist. Das Schönste im Leben ist, seine eigenen Kräfte zu äußern, und [XI-610] zwar nicht für einen Zweck, sondern um des Aktes selber willen. Die richtig verstandene Liebe hat auch keinen Zweck. Für viele Leute hat sie natürlich einen Zweck! Sie hat entweder den Zweck, zur sexuellen Befriedigung oder zur Heirat zu führen, Kinder zu haben und ein bürgerlich-normales Leben aufzubauen. Das sind die Zwecke der Liebe. Deshalb ist Liebe heute auch sehr selten – die Liebe ohne Zweck, jene Liebe, in der alles, was wichtig ist, der Akt des Liebens selbst ist, wo also das Sein und nicht das Konsumieren die entscheidende Rolle spielt: der Selbstausdruck des Menschen, die Mitteilung seiner eigenen Fähigkeiten. Aber eine so verstandene Liebe geht mit einer bloß auf äußere Ziele, Erfolge, Produktion und Verbrauch gerichteten Kultur wie der unseren einfach weg.
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